Satire, Alltägliches und andere Absurditäten

 

Großes vom Kleinmeister

Sich an kleinen Dingen zu erfreuen ist eine Fähigkeit, die ich nur vom Hörensagen kenne. Kleine Dinge können mich in keiner Weise beeindrucken. Kleine Dinge finde ich ausgesprochen langweilig. Damit will ich gar nichts zu tun haben. Wie sollen denn kleine Dinge große Freude machen können? Ist doch völlig unlogisch. Dazu braucht es große Dinge. Dann passt das. Glauben Sie etwa an die Binsenweisheit, kleine Geschenke würden die Freundschaft erhalten? Wie viele Freunde haben Sie? Eben, ein sehr leicht überschaubarer kleiner Freundeskreis. Richtig ist: Kleine Geschenke stellen die Freundschaft auf die Probe. Das übersteht nicht jede Freundschaft. Versuchen Sie doch ein Mal dies: Schenken Sie Ihrem besten Freund eine Zeichnung, die Sie mal schnell auf ein Schreibmaschinenpapier gekritzelt haben, zu einem runden Geburtstag – als einziges Geschenk. Ich wette, Ihren Freund werden Sie in absehbarer Zeit nicht mehr sehen. Sie werden bestenfalls kurz darauf eine SMS von ihm erhalten, in der er Ihnen die Telefonnummer eines Psychotherapeuten übermittelt. Ausnahme: Sie sind um die fünfzig Jahre alt. Dann wird er eine ausufernde Midlife-Crisis als Ursache vermuten, ihnen mitleidig zulächeln, jedoch das Geschenk wohlwollend in Empfang nehmen. Und Sie erhalten die Telefonnummer eines Psychotherapeuten sofort und mündlich. Anderer Versuch: Schenken Sie Ihrer Freundin anstatt des versprochenen Diamantringes die Plastikversion aus dem Kaugummiautomaten. Ahnen Sie es? Richtig, Ihre Freundin wird umgehend in eine andere Stadt übersiedeln und sich eine neue, anonyme Handynummer zulegen. Damit nicht genug. Von dieser Nummer aus wird sie eine Ketten-SMS an alle Frauen auf diesem Planeten starten, in der sie Ihr Vergehen schildert. GAME OVER!

            Was ist mit den Keksen mit dem Marmeladenklecks in der Mitte? Richtig, die Marmeladenkleckse sind immer zu klein. Oder Schokocroissants, da ist die Füllmenge grundsätzlich nicht groß genug. Ganz schlimm sind Berliner. Da wird massiv an der Marmelade gespart. Und diese wird dann nicht etwa in der Mitte platziert sondern dicht unter einer Randzone versteckt. Was trotz mangelnder Masse zu einer gewaltigen Schweinerei führt, wenn man an der falschen Stelle abbeißt. Besonders eklig sind kleine Bohrer. Nämlich dann, wenn sie der Zahnarzt verwendet. Ach ja, manchmal benutzen die auch Hobby-Modellbauer. Das ist dann doppelt unnütz. Wer braucht schon ein kleines Eisenbahnmodell. Eisenbahnen und Schienen gibt es doch in groß. Dann sind die nützlich. Damit kann man große Abenteuer erleben. Zumindest wenn man vorhatte, irgendwo pünktlich anzukommen. Gut, ich gebe zu, groß ist nicht grundsätzlich besser. Eine Großbaustelle auf der Autobahn, ein Großonkel mit pädophilen Neigungen oder ein übergroßer Pickel im Gesicht sind nicht ideal. Und bei einem mittellosen Studenten ist die Freude auch dann groß, wenn man ihm nur einen Mini Cooper schenkt. Wie heißt es so schön: „Die Ausnahmen bestätigen die Regel“. Ausnahmslos schrecklich sind kleine Kinder und Säuglinge. Die haben dauernd volle Windeln, nerven mit Geschrei und sind nicht gewillt oder fähig, das zu tun, was man von ihnen verlangt, zum Beispiel das Finanzamt anzünden oder wenigstens den alten Audi 80 des Steuerprüfers zerkratzen. Die Natur glaubt, das mit dem besonders putzigen Aussehen der Kleinen wieder gut machen zu können. Soll wohl auch die Eltern von dem Gedanken ablenken, dass die kleinen Blutsauger ihnen bis dreißig oder länger auf der Tasche liegen. Die Chancen dazu sind heutzutage ausgesprochen groß. Nein, nein, nein. Kleine Kinder mag ich nicht. Große, ja große Kinder, wenn sie denn soziale Wesen sind. Mit denen kann ich was anfangen. Doch wird die Zahl derer leider immer kleiner. Keiner hat mehr die Zeit, die Brut in sozialer Kompetenz zu schulen. Schon gar nicht die Eltern. Da braucht es großartige Lehrer, die das vielleicht noch erledigen.

            Ich weiß, ich bin mit meinem Wunsch nach schierer Größe nicht alleine. Es gibt sehr viele positiv belegte Begriffe, die das Wort groß enthalten, ohne das Wort klein beinhaltende Gegenstücke. Haben sie schon ein Mal den Begriff Kleinmeister oder das Wort Kleinherzog vernommen? Oder kennen sie einen riesenkleinen, kleinzügigen Menschen? Ein Verkleinerungsglas gibt es ebenfalls nicht – obgleich es manchmal gar nicht schlecht wäre, um all zu Nahes distanzierter betrachten zu können. Sogar kleine Künstler genießen großen sprachlichen Schutz in der Beurteilung durch andere. Ihre Werke werden niemals kleinartig genannt. Zugegeben, ich liebe Kleinkunst. Kleinkunst hat manchmal deutlich mehr zu bieten als die im großen Stil vermarktete. Somit wäre kleinartig, wenn es den Begriff gäbe, beinahe belobigend. Das ist eben wieder so eine Ausnahme. Was halten Sie von einer großen Karriere? Groß raus kommen und groß absahnen. Am besten, ohne klein anfangen zu müssen. Blöd, dass dies nur dann wirklich einfach geht, wenn man hineingeboren wird in die kleine Gemeinde der Großen. Die Chance, das zum Beispiel durch Casting-Shows zu erreichen ist nun mal nicht wirklich groß. Und, um die Kommentare der dumm schwätzenden Kleingeister in der Jury zu ertragen, braucht es wahre Größe. Körperliche Größe hilft bestenfalls, ein Mitglied der Jury zu werden. Ist aber auch nicht schlecht, um sich allgemein im Berufsleben durchzusetzen. Physisch große Menschen sind häufig in der Lage, ohne jegliche fachliche Kompetenz durchs Leben zu gehen. Um schließlich dennoch in Führungspositionen aufzusteigen. Die brauchen nichts anderes zu tun, als sich – ihre scheinbare Überlegenheit demonstrierend – vor den kleineren Kollegen aufzubauen. Schon haben sie gewonnen. Das geht schon seit zig Jahrtausenden so. Bei den Tieren läuft das auch nicht anders. Das nennt sich das Gesetz des Stärkeren. Zwar haben moderne westliche Regierungen, im Besonderen vor Wahlen, dieses Gesetz durch sozial verträglichere ersetzt. Möglich war das, weil reichlich Verteilungsmasse zur Verfügung stand. Doch im Rahmen der Globalisierung und auf Grund massiv geplünderter Staatskassen sind Naturgesetze wieder gültiger denn je. Und die große Masse muss mit einem kleinen Einkommen auskommen. Oder?

            Wer will schon ein kleines Einkommen? Da hilft nur, große Anstrengungen zu unternehmen, um sich irgendwann in die die Reihe der Großverdiener einreihen zu können. Das hat ganz klar Vorteile. Zum Einen, weil man dann großspurig von sich behaupten kann, man habe etwas Großes geleistet. Dass man dieses Große trotz diverser Herzinfarkte, gescheiterter Beziehungen, zerbrochener Familien, trotz der aufgegebenen Ideale und dem schlechten Gewissen, weil man die Mitstreiter noch viel schlimmer als sich selbst behandelt hat, erreicht hat, sind kaum nennenswerte Kleinigkeiten. Im Gegenteil, man kann sich nach all dem Überstandenen noch größer fühlen. Ein weiterer Vorteil: Man kann sich nun große Dinge leisten. Zum Beispiel ein großes SUV (ist vermutlich das Kürzel für Spritfressendes Ungeheuer zur Verlängerung des Penis, wobei das P weggelassen wurde, damit es nicht völlig offensichtlich ist). Das ist so ein hochgebockter Marken-Straßen-Panzer mit extraheller Lichthupe und riesengroßen Rädern. Mit so einem Ding kann man jedes Hindernis aus dem Weg schieben. Das schüchtert nicht nur den noch immer E-Klasse fahrenden Nachbarn ein. Das lockt auch die große magersüchtige Frau vom Typ Supermodel an, die sich ausschließlich bei großen Designern einkleidet. Und die ihre Fummel dann in den großen begehbaren Kleiderschrank ins große neue Haus packen kann. Um regelmäßig vor dem herrlich großen Problem zu stehen, ob der Masse an Kleidungsstücken kaum eine Auswahl treffen zu können, was sie gerade anziehen soll. Wenn sie dann noch die Zeit findet, – zwischen Nailstudio-Termin und Wellness-Nachmittag mit ihren nicht weniger magersüchtigen Freundinnen – einen großen Koffer zu packen, kann man mit ihr große Reisen unternehmen. Und wegen der großen Eingeschränktheit bei der zur Erhaltung des magersüchtigen Körperbaus notwendigen und sicher im Reiseland kaum erhältlichen Lebensmittel kann man wunderbar große Überraschungen erleben. So wird selbst die Reise in ein höchst entwickeltes Land zu einem echt großen Abenteuer.

            Die schrecklichen kleinen Verlustängste, von denen man früher geplagt wurde, sind für immer passé. Man kann fortan Großes verlieren, wenn man nicht genügend aufs Kleingedruckte achtet. Hat man alles verloren, kann man noch immer die Großformat-Hochglanzabzüge von dem, was man mal hatte, den klein gebliebenen – haben die sich das gar selbst so ausgesucht? – unter die Nase halten. Ist man sicher im Umgang mit dem Kleingedruckten und besitzt man schon alles, braucht man nicht zu fürchten, dass ein kleiner Anflug von Langeweile aufkommen kann. Nein, wahnsinnig große Langeweile macht sich breit. Zumindest so lange, bis die Medien von einer Umweltkatastrophe oder einem Anschlag mit terroristischem Hintergrund berichten. Denn mit der neuen 150 cm großen Flachbildglotze ist man da schon fast hautnah dabei. Zum Glück berichten die Medien nur von großen Ereignissen. Wer würde schon eine kleine Umweltkatastrophe wie die ständige Vergiftung heimischer Gewässer durch die penetrant duftenden in Klos hängenden Chemieabfallklötze beachten? Wer interessiert sich schon für die Beweggründe eines versehentlich nur sich selbst in die Luft gesprengten Attentäters im Irak? Da braucht es schon was Großes, mit riesengroßen Schäden, mit einer großen Anzahl von Opfern, von großen Tätern begangen. Nur ganz große Schweinereien, angerichtet von daraus resultierenden wirklich großen Feindbildern helfen einem persönlich, die kleinen Schweinereien, die man selbst anrichtet und die man im eigenen Umfeld sieht, im großen Stil aus dem Gedächtnis zu löschen. Das ist doch großartig.

            Und da gibt es doch tatsächlich so kleine Klugscheißer, die nicht die Größe haben zuzugeben, dass nur Groß wirklich zählt. Die behaupten zum Beispiel, dass es Sinn mache, im eigenen kleinen Umfeld klein anzufangen, und die kleinen grauen Zellen mal so richtig zu nutzen, um sich im Dialog mit anderen Kulturen weiterzubilden und behutsam kleine Veränderungen zu erreichen. Da könne man sicher den ein oder anderen kleinen Erfolg feiern. Und die Großen könnten neugierig werden und von den Kleinen lernen. Die könnten beginnen, die innere Leere, die sie bis dato mit blinder Raffgier zu bekämpfen versuchten, auf mehr Ressourcen schonende Weise aufzufüllen – was vielleicht dem Hass in der Islamischen Welt auf den Westen den Nährboden entziehen würde. Mannomann, die haben offensichtlich nichts von der Ästhetik der einstürzenden Nine-Eleven-Türme mitbekommen. Konnten sie einfach nicht. Die hocken wahrscheinlich noch immer vor ihren klitzekleinen Mäusekinos ohne Dolby-Surround-Sound, weil sie meinen, auf die Inhalte der Sendungen käme es an. Und verbreiten derart großen Unsinn.

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